Margriet de Moor
Schlaflose Nacht
Es ist dreizehn Jahre her, als an einem Spätsommerabend ein Schuss im Gewächshaus das Leben der Ich-Erzählerin dramatisch verändert. Ihr Mann beging Selbstmord – ohne Abschiedsbrief, ohne Zeichen einer Depression. Sie lebten auf dem Land, in einem alten Bauernhaus. Nur vierzehn Monate waren sie zusammen.
Haus der Erinnerungen
Die junge Witwe ist frisch gebackene Lehrerin. Sie bleibt in diesem Haus in der Provinz, auch wenn ihre Freunde es nicht verstehen können. Denn in diesem Haus erinnert alles an ihren Mann, er hat es zu einer gemütlichen, schönen Behausung gemacht. Schuldgefühle treiben sie um, Eifersucht, und die Frage nach dem "warum" lässt sie nicht los. Wieder und wieder erzählt sie ihre Geschichte – sie holt sich Männer als Liebhaber ins Haus, um keoin Klosterdasein zu führen. Sie hören ihr zu. Erzählen ist auch ein Weg zu Antworten.
Intensive Lautlosigkeit
In ihren schlaflosen Nächten sucht sie nach einem Motiv, einer Erklärung. Irgendwann grübelt sie nicht mehr und wälzt sich im Bett, sondern steht auf, geht in die Küche und beginnt, Kuchen zu backen:
"Ich arbeite in völliger Stille. Undenkbar, die intensive Lautlosigkeit der Nacht von der Küchenmaschine attackieren zu lassen. Der Apparat steht fettig und verstaubt neben der Kochplatte, ich könnte ihn genausogut wegwerfen, denn tagsüber, wenn man ihn ohne weiteres benutzen könnte, kommt es mir nicht in den Sinn, mit diesem Unfug anzufangen."
Während sie die Zutaten mischt, den Teig anrührt und den Backofen heizt, hofft sie auf Zeichen, die sie in ihrer kurzen Ehe möglicherweise übersehen hat. Während sie den Kuchen vorbereitet, erzählt sie von ihrem Mann und fast übergangslos auch von jenem Liebhaber, der oben in ihrem Bett schläft.
Enttäuschte Liebe
Neue und alte Begegnung, Liebe, Leben, Tod - Margriet de Moor bleibt leise im Ton, verknüpft subtil Vergangenheit und Gegenwart, lässt ihre Protagonistin in der Erinnerung leben: die erste Begegnung mit ihrem Mann, mit dem sie auf zugefrorenem See Schlittschuh lief, ein Eisloch übersah und fast ertrunken wäre. Im nächsten Kapitel erzählt sie von der neuen Begegnung dieses Tages, vom Besuch im Zoo, von Gesprächen über Beziehungen und Enttäuschungen.
Immer im Schatten
Seit 13 Jahren sucht die Witwe fast zwanghaft nach Gründen, um Wut und Schmerz zu begraben, verliert sich in Spuren, die nicht wirklich Antworten liefern, lebt im Schatten des toten Ehemannes, fühlt sich betrogen, folgt im Leben einem starren Schema. Bis sie erkennt:
"Es war nicht normal, wie ich dieses Glück, das ich schon seit Stunden wie einen herrenlosen Hund um mich herumlungern fühlte, auf Distanz hielt."
Eine leise und eindringliche Novelle über eine schicksalhafte, obsessive Liebe – und über einen russischen Napfkuchen, der so manche Dinge ins Wanken zu bringen vermag.
(Christiane Schwalbe)
Margriet de Moor *1941 in Noordwijk, studierte zunächst Klavier und Gesang, bevor sie erst 1984 den ersten Band mit Erzählungen veröffentlichte, sie lebt in Amsterdam
Margriet de Moor "Schlaflose Nacht"
Aus dem Niederländischen von Helga van Beuningen
Hanser 2016, 128 Seiten, 16 Euro
eBook 11,99 Euro
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"Von Vögeln und Menschen"
"Mélodie d'amour"