James Salter
Charisma
Sämtliche Stories und drei literarische Essays
"Schriftsteller, die ich mag, sind solche, die genau beobachten können. Details sind alles. Meine Ziele beim Schreiben sind denen Flauberts nicht unähnlich: Realismus, Objektivität und Stil. Sätze, die sich aneinanderfügen, als sei dies ihr eigentlicher Daseinszweck, aber keine Sätze, die um ihrer selbst willen … Mir scheint, es ist der Stil, der Bestand hat."
Realität von Beziehungen
So schreibt James Salter in "Die Kunst der Literatur", einer von drei klugen Vorlesungen, im Anhang von "Charisma". Und es ist, als habe er sich selbst beschrieben, seine Art, den Dingen auf den Grund zu gehen, Atmosphäre zu schaffen, Realität einzufangen, vor allem die Realität von Freundschaften, Familien, Beziehungen und den ewigen Kampf zwischen Männern und Frauen.
Gefühlswelten
Es sind präzise und oft fast nüchterne Beschreibungen der Gefühlswelt von Paaren, die sich auseinanderleben, Innenansichten, kühl betrachtet, ohne wortreiche Analysen oder aufdringliche Deutungen. Und dennoch weiß der Leser binnen kurzem, was sich da abspielt, welche Ängste und Sehnsüchte, welche Gleichgültigkeit oder Einsamkeit die Personen in sich tragen. Geschichten von Abhängigkeit und Unterwerfung, von Sex und Leidenschaft, von Trauer und Abschied.
Erotische Spannung
Salter bewertet und kritisiert nicht, er stellt einfach dar, überlässt dem Leser das Urteil.
"Salters Figuren sind unscharf gezeichnet, und doch prägen sie sich sofort ein. Er versteht es besonders gut, über junge Frauen zu schreiben … sehr viele von Salters Geschichten sind aufgeladen mit einer hocherotischen Spannung."
Schreibt John Banville, der ihn bewunderte, im Vorwort zu diesem Band, in dem sämtliche Stories von Salter versammelt sind. Und er pointiert damit das wiederkehrend Typische an seinen Erzählungen, seine Fähigkeit, mit wenigen Sätzen ein ganzes Psychogramm zu zeichnen oder ein Schicksal, das sich bereits ahnen lässt.
Magische Anziehungskraft
In "Charisma" stehen der fast achtzigjährige, abgeklärte Maler Lucien Freud – "er hatte massenhaft Affären" - neben dem strahlenden, jungen Paul Millard, dem Leila verfallen wird, einem Lebemann mit wechselnden Beziehungen und magischer Anziehungskraft:
"Bei Männern geht es nicht ums Aussehen. Darauf kommt es nicht an … Manchmal tauscht man Blicke und alles steht schon darin geschrieben, es gilt lediglich zu erfahren, was dann konkret passiert."
Millard wird früh sterben, an Krebs.
Vergangener Sommer
"Am Strande von Tanger" nörgelt eine Deutsche bei einem Ausflug mit Freunden ans Meer über die fehlenden Manieren der Männer des Landes, mit denen sie sich eingelassen hat, konstatiert aber zugleich:
"Eine Frau kann sowieso nie hoffen, alles für einen Mann zu sein. Das wäre nicht natürlich. Ein Mann muss mehrere Frauen haben."
Und Mrs. Chandler, Stammkundin beim Metzger mit "erstklassigem Fleisch" kommt regelmäßig hierher. Sie lebt allein in einem großen Haus inmitten von Feldern, verlassen von ihrem Mann und nun auch vom Geliebten, der noch nicht einmal Zeit hat für einen letzten Drink.
"Sie stand vorm Spiegel und betrachtete kalt ihr Gesicht. Sechsundvierzig. Man sah es an ihrem Hals und unter den Augen.… Der Sommer mit seinen Hoffnungen und den langen Tagen war vorbei."
Ein Universum
Es passiert auf den ersten Blick nicht viel in diesen ausdrucksstarken, poetischen Geschichten. Erst wenn sie nachwirken, entdeckt man in den fein gezeichneten Szenen sozialer Interaktionen das Universum menschlicher Stärken und Schwächen. "Charisma" bietet die wunderbare Gelegenheit, diesen amerikanischen Schriftsteller, der es anfangs so schwer hatte, in Deutschland bekannt zu werden, zu entdecken. Er starb wenige Tage nach seinem 90. Geburtstag, im Juni 2015.
(Christiane Schwalbe)
James Salter, *1925 in Washington, gilt als moderner Klassiker der amerikanischen Literatur, 2015 gestorben
James Salter "Charisma"
Sämtliche Stories und drei literarische Essays
"Collected Stories" übersetzt von Beatrice Howeg u.a.
Berlin-Verlag 2016, 368 Seiten, 22 Euro
eBook 17,99 Euro
Weitere Buchtipps zu James Salter
"Jäger"
"Alles was ist"