Garry Disher
Leiser Tod
Detective Inspector Hal Challis muss diesmal auf seine Kollegin und Freundin Ellen Destry verzichten, denn sie wird sich zwei Monate lang mit den Verfahren bei Sexualverbrechen in Europa vertraut machen.
Massiver Druck
Ironischerweise wird gerade jetzt eine junge Frau auf der Victorian Mornington Peninsula vergewaltigt, von einem Mann in schlecht sitzender Polizeiuniform. Ein Bankräuber scheint den nächsten Coup in Hallis‘ Revier zu planen, und der sonst so beherrschte Beamte lässt seinem Zorn einem Reporter gegenüber freien Lauf und sieht sich mit massivem Druck von seinen Vorgesetzten konfrontiert:
"Wir sind unzureichend ausgestattet. Schauen Sie sich meine Einheit, die CIU, an: Im Augenblick haben wir nur einen einzigen fahrbereiten Zivilwagen, und wenn wir nicht andauernd unsere Privatfahrzeuge nehmen würden, kämen wir überhaupt nicht zum Tatort. Bei der uniformierten Polizei sieht es nicht besser aus."
Raum und Farbigkeit
Wunderbar lakonisch und komplex entwickelt Disher die Herausforderungen unterbesetzter Polizeiarbeit und gewährt jeder Person Raum und Farbigkeit, den Polizisten ebenso wie den Randfiguren. Neu ist diesmal, dass man parallel zur Aufklärung der Vergewaltigung und des bald folgenden Mordes dem Weg einer jungen Einbrecherin folgt, die sich als leitende Angestellte ebenso geschickt tarnt wie als Joggerin, eine Verwandlungskünstlerin mit gutem Geschmack, dunkler Vergangenheit und vielen Pässen. Eine faszinierende neue Figur im südostaustralischen Kosmos, die aber mit dem Skandal um korrupte Polizisten aus einem früheren Roman Dishers verknüpft ist, und in Challis‘ Revier hat sie ihren Rückzugsort gefunden. Grace nennt sie sich derzeit,
"und dann war da noch ein alter Name, Nina, der in ihren Träumen hauste und wirklich schien, was die anderen Namen nicht waren."
Als sie im Haus der zwielichtigen Kunsthändlerin Mara Niekirk auf eine Ikone stößt, geht es nicht mehr um Geld, sondern wird persönlich, denn die Erinnerung erwacht: Diese Ikone gehörte mal ihren Großeltern, vor der Katastrophe, die sie als Kind ins Waisenhaus brachte.
"Pflanzen, Gärten oder Tierwelt waren ihr völlig schnuppe, sie ging durchs Leben, ohne alldem Beachtung zu schenken, aber jetzt war sie hellwach, und alle ihre Sinne arbeiteten auf Hochtouren."
Schneller Reichtum
Die junge Polizistin Pam Murphy spielt diesmal eine wichtige Rolle bei der Aufklärung der Sexualverbrechen, und ihre eigenen Probleme mit sexueller Identität und ihrer Balance, nachdem sie die Antidepressiva abgesetzt hat, werden einfühlsam und mit Sympathie geschildert. Challis, sie und die anderen Kollegen sind normale Menschen mit alltäglichen Problemen, und Disher legt sie auch in diesem sechsten Band nicht auf Marotten und Macken fest, sondern erlaubt ihnen, sich entlang der Herausforderungen zu entwickeln. Auch der scharfe Blick auf die Veränderungen der Region durch schnellen Reichtum und Drogen auf der einen und Verelendung auf der anderen Seite sorgt für verbindende Tiefenschärfe. Spannung entsteht dabei in hohem Maße, weil der australische Autor die vielen unterschiedlichen Handlungsstränge kunstvoll verknüpft und so immer wieder für überraschende Wendungen sorgt. Schwierige Zeiten also für DI Hallis, der unter Erfolgsdruck steht:
"Ungewissheit war ein Dauerzustand in seinem Leben, doch so langsam hasste er das. Er wollte Ellen Destry in der Nähe haben, er wollte in der Lage sein, öffentlich seine Meinung sagen zu dürfen und Debatten anzustoßen, nicht der Schande preisgegeben zu werden. Eigentlich wollte er nur die einfachen Freuden genießen, wie zum Beispiel ab und zu mal sein Haus bei Tageslicht zu sehen."
Doch das ist ihm, zur Freude der Leser, nur selten vergönnt, und wie immer bei Garry Disher freut man sich schon aufs nächste Buch, zumal jedes einzelne sehr gut für sich gelesen werden kann.
(Lore Kleinert)
Garry Disher, *1949, aufgewachsen im ländlichen Südaustralien, schreibt Romane, Kurzgeschichten, Kriminalromane und Kinderbücher, lebt in der Nähe von Melbourne
Garry Disher "Leiser Tod"
"Whispering Death" aus dem Englischen übersetzt von Peter Torberg
Kriminalroman, Unionsverlag 2018, 352 Seiten, 22 Euro
eBook 17.99 Euro
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