Siri Hustvedt
Die gleissende Welt der Siri Hustvedt
Das ist die Geschichte einer gleißenden Welt, in der die Frauen nur eine Nebenrolle spielen, obwohl sie den Kunstmarkt nicht weniger bereichern als die Männer. Wobei "bereichern" in diesem Fall doppeldeutig ist: Künstlerinnen erzielen mit ihren Werken deutlich weniger Verkaufsmillionen als Künstler, wenn überhaupt.
Männerkunst - Frauenkunst
Harriet Burden alias Harry ist mit einem berühmten und wohlhabenden New Yorker Kunsthändler verheiratet. Sie ist eine Frau, die (Männern) auffällt – groß gewachsen, selbstbewusst, emanzipiert und eine begabte Künstlerin obendrein. Nach dem überraschenden Tod ihres Mannes beschließt sie, sich für den Kunstmarkt zu inszenieren, um den Beweis zu führen: Kunst von Frauen wird nicht wahrgenommen, nur die Kunst von Männern gilt etwas.
"Ich glaube nicht, dass es eine Verschwörung gegen mich gab. Vieles an Vorurteilen ist unbewusst … Nicht ins Gesicht gesagt: Das ist die Frau von Felix Lord. Sie macht Puppenhäuser. Gekicher."
Spiel mit Masken
Harriet beschließt, mit "Masken" zu spielen, meint: Drei Männer werden ihre Installationen als die eigenen ausgeben - und die Kunstwelt begeistern. Erst nach diesen drei Maskeraden will sich die wahre Künstlerin outen.
"Das Ergebnis war frappierend. Als Werk eines Mannes präsentiert, fand ihre Kunst plötzlich ein enthusiastisches Publikum … aber die Geschichte kann nicht nur als feministische Parabel erzählt werden, obwohl es auf der Hand zu liegen scheint, dass Geschlechtervorurteile eine entscheidende Rolle .. spielten."
Harriets inszenierte Maskerade wird begleitet und interpretiert von Kommentaren, Berichten, Bewertungen; und dies geschieht aus vielfältigen Perspektiven – ihrer Kinder, ihrer Liebhaber, der Kunstexperten und Menschen, die ihr Geheimnis kennen und, natürlich, aus der eigenen Perspektive. Dazu Interviews, Tagebuchfragmente und Erinnerungen – eine üppige Collage.
Eitelkeit der Männer
Ihr Projekt geht schief - unter anderem, weil sie nicht mit der Eitelkeit der "verbündeten" Männer gerechnet hat. Außerdem erkrankt sie an Krebs – fast symbolhaft, denn es sind die spezifischen weiblichen Organe betroffen. Überhaupt: Symbolik, Metaphern, Anspielungen und Doppeldeutigkeiten - davon gibt es viele in diesem Buch, dazu Fußnoten, die Bezüge, Personen, soziale oder wissenschaftliche Zusammenhänge erklären. Zudem ist "Die gleißende Welt" Titel eines Romans von Margaret Cavendish, einer frühen Universalgelehrten, die im 17. Jahrhundert als eine der ersten Frauen unter ihrem eigenen Namen publizierte. Sie ist Harriets Vorbild.
Es sind die Geister
"Die gleißende Welt" ist ein intellektueller und psychologisch überaus vielschichtiger Kosmos, der den selbstverliebten Kunsthändler ebenso ins Spiel zieht wie den dominanten Vater, der keine Tochter wollte:
"Ja, Harry, es sind die Geister … Wolltest du deinen Namen in Leuchtschrift oben über dem Eingang sehen? Selbstgefällige Eitelkeit … Väterliche Leuchtschrift? Hast du dir das erhofft? Warum nur, Harry? Dein Vater wollte nicht, dass die Burden geboren wurde, seine schreiende, beschwerliche Bürde, aber dann kamst Du."
Nicht gerade ein Glück verheißender Anfang für ein Leben.
Schillernd
Man findet nicht eben leicht hinein in dieses Buch, kann es dann aber nur schwer beiseite legen. Dieser Roman ist anspruchsvoll und im Wechsel mal anstrengend, mal lustvoll zu lesen. Ein im besten Sinne schillerndes Buch, klug, aufregend und herausfordernd.
(Christiane Schwalbe)
Siri Hustvedt *1955 in Northfield, Minnesota/USA, amerikanische Schriftstellerin, lebt mit ihrem Mann, dem Schriftsteller Paul Auster, in Brooklyn, New York
Siri Hustvedt "Die gleißende Welt"
Roman, Rowohlt 2015, 491 Seiten, 22.95 Euro
eBook 19.99 Euro
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