Julia Schoch
Das Liebespaar des Jahrhunderts
Biographie einer Frau
„Ich stelle mir zwei Türen vor. Auf der einen steht: Die Liebe fängt an. Und auf der anderen steht: Hier hört die Liebe auf. Durch eine Tür kommt man herein, und durch die andere geht man wieder heraus. Wie bei einem Theaterstück…“
Von allen Seiten
Dies wäre die spielerische Betrachtung einer beendeten Liebe, doch in Julia Schochs zweitem Buch zur Biographie einer Frau untersucht sie das Paar, sich und den Mann, mit dem sie seit drei Jahrzehnten zusammen ist, mit vorwiegend ernsthaftem Blick. Wenn das Bild der Bühne stimmig ist, dann doch als Drehbühne, die es erlaubt, alles von allen Seiten anzuschauen, zu prüfen, abzuwägen oder wieder in Zweifel zu ziehen. Das bedeutet auch, manche Erkenntnis wieder zu verwerfen:
„Was sich über die Zeit anreichert, sind nicht die Kristalle der Liebe. Es sind die Kristalle der Ernüchterung.“
Sätze wie diese sind so pointiert und treffend, wie wir es schon aus den letzten Büchern dieser Autorin kennen. Wenn sie die Bühne dann ein wenig dreht, begreift man, dass Sprache allein etwas festzuzurren vermag – und im nächsten Augenblick wieder verwirft, jedenfalls, wenn jemand so souverän mit ihr umgeht wie Julia Schoch. So sorgt der Satz zu Beginn des Buchs, „Ich verlasse dich“, für einen Moment des Erschreckens; wie ein Stein, der ins Wasser geworfen wird, sorgt er für kleine, sich fortpflanzende, kreiselnde Bewegungen, die Julia Schoch nachverfolgt, vom Beginn dieser Liebe an, und in jede Richtung. Eine Bühne wäre da viel zu eng.
„Gibt es eine Chronologie dieser Geschichte, und wenn ja, ist es die eines allmählichen Verlustes oder die einer Befreiung? Je mehr ich voranschreite, je länger diese Geschichte dauert, desto mehr verflechten sich die Dinge zu einem einzigen dichten Gewebe. Einer Landschaft ohne Grenzen, in der ich herumgehe, verzweifelt, berauscht, die Herrscherin über die Wälder der Erinnerung.“
Ungelebte Wünsche
Als sie ihren Mann, den sie nie geheiratet hat, kennenlernte, studierten beide noch. Die Mauer war ein paar Jahre zuvor gefallen, alle Freunde wollten „mich eingeschlossen, sterben. Mit großer Geste zugrunde gehen, oder wenigstens das Land verlassen“, und was man von den Eltern gelernt hatte, war im neuen Leben nicht von großem Nutzen. Dass der Mann, den die Autorin im Roman als Du, als stetiges Gegenüber anspricht, nichts vom Unglücklichsein hielt, weil es Energieverschwendung sei, macht ihn zu einem stabileren Gegenüber, als man zunächst vermuten würde. In ihrer langen Reflektion über das gemeinsame Leben geht die sprechende Frau nicht nur der Liebe und ihrem Verschwinden nach, sondern auch all ihren Zweifeln, etwa darüber, was es für andere Möglichkeiten des Lebens „ohne dich“ gegeben hätte, Fragen, die sich sicher alle stellen, die sich mal entschieden haben. Julia Schoch banalisiert sie aber nicht, indem sie psychologisiert oder den ungelebten Wünschen zu viel Raum gibt, denn das würde den Raum, den sie sprachlich mit Hellsicht und Zärtlichkeit erschafft, beschädigen.
Magische Verbindungen
Immer, wenn sie der Liebe in ihrem Leben genauer zu Leibe rückt, gipfelt der Text in einem ihrer kristallklaren, präzisen Sätze. Wann beginnt man, an Trennung zu denken – es wird dann leicht, wenn „man glaubt, nicht mehr zerbrechen zu müssen“. Was aber passiert mit der gemeinsamen Geschichte, wenn sie tatsächlich beendet wird – „wer wird sich darum kümmern, wenn es uns als Paar nicht mehr gibt?“ Und sie zieht auch in Betracht, dass die Liebe ein Warten gewesen sei, „Ein Warten auf etwas, das größer ist als wir“. Am Anfang stand ein Manifest der Liebe, von beiden verfasst, und nach genauer Betrachtung erscheint dann der todtraurige Satz:
„Wir waren seit so vielen Jahren zusammen, aber ich wusste immer noch nicht, wer von uns beiden der Einsamere war.“
Julia Schoch, das ist ihre große Stärke, verlässt sich nicht auf scheinbare Gewissheiten, sondern sie misstraut ihnen, dreht die Sprach-Bühne solange, bis wieder andere Facetten zu erkennen sind. Im Paar, das sich zusammenfand, sind alle anderen Paare der Welt enthalten, und es gilt, die magischen Verbindungen zu erkunden, die vielleicht als einzigartig festzuhalten wären. Die Welt mit zwei Kindern erschien als ausgefüllt und voller Leben, und der Gedanke an eine mögliche Trennung bot im Alltag auch Entlastung. Dennoch schrieb die Schriftstellerin zunächst erst heimlich, „um die Welt eines Tages zu überraschen. Die Welt, das hieß: dich.“ Die Frage, ob das gelang, in welcher Weise auch immer, wird von der Autorin nicht leichtfertig beantwortet, denn wer weiß schon, was die Welt ohne „dich“ gewesen wäre.
Fundstücke der Erinnerung
Aus dem harten Eingangssatz kann also vieles folgen, und beim Lesen dieses Romans über ein langes, mehr oder weniger gemeinsames Leben werden die eigenen Erwartungen immer wieder kunstvoll durchkreuzt. Die vielen Fundstücke der Erinnerung, über die die Frau doch weniger Herrscherin ist als ihr bewusst ist, fügt sie in ihrer Reflektion neu zusammen, solange, bis die Bilder zu schillern beginnen und der feste Boden der Entscheidungen zu schwanken beginnt. Und man begreift, welche Schönheit auch in der Ernüchterung zu finden ist. Ein großartiges, kluges Buch über alles, was aus der Liebe werden kann.
„Die Liebe hat nicht nur mit Liebe zu tun. Es braucht eine Menge anderer Dinge, damit sie entsteht und wächst und bleibt. Großmut zum Beispiel, Sturheit und Vorsicht. Vor allem das. Man muss vorsichtig sein. Wenn man etwas ausspricht, ist es auch in der Welt.“
(Lore Kleinert)
Julia Schoch, *1974 in Bad Saarow, aufgewachsen in Mecklenburg, lebt als freie Schriftstellerin und Übersetzerin in Potsdam.
Julia Schoch "Das Liebespaar des Jahrhunderts"
Biographie einer Frau
Zweites Buch, Roman, dtv 2023, 192 Seiten, 22 Euro
eBook 18,99 Euro
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