Robert Seethaler
Ein ganzes Leben
Ein Mann in den Bergen – wortkarg, bedürfnislos, stoisch, von schlichtem Gemüt, aber mit genauem Blick, arbeitsam, fleißig, geduldig. Das Schicksal meint es nicht gut mit ihm und als er als Waise zum Bergbauern kommt und die glitzernde Bergwelt bestaunt, wird es nicht besser.
Immer wieder Schläge
Es setzt Schläge mit der Haselgerte – "Gründe für diese Züchtigungen gab es genug: verschüttete Milch, verschimmeltes Brot, ein verlorenes Rind oder ein verstottertes Abendgebet" – und einmal waren die Schläge besonders hart und machen das Kind zum Krüppel. Seitdem hinkt Andreas Egger. Es bleibt nicht der einzige Gewaltakt in seinem jungen Leben.
Leben als Tagelöhner
Bis er sich – einmal wenigstens - zur Wehr setzt: "Wenn du mich schlagst, bring ich dich um!, sagte Egger und der Bauer verharrte mitten in der Bewegung." Egger lässt sich viel, aber nicht alles gefallen. Er spürt, dass er keine großen Ansprüche stellen kann ans Leben, aber schuften, das kann er. Sein Geld verdient er als Tagelöhner und schließlich als Arbeiter bei der Bergbahngesellschaft, die Seilbahnen ins Land bringt, den Tourismus - und die Stille vertreibt.
Für Marie
Viel Liebe hat Egger nicht erfahren, doch die große Liebe erlebt er, intensiv, unschuldig, beruhigend und warm. Er macht seiner Marie eine schier unglaubliche Liebeserklärung: "FÜR DICH MARIE, stand in flackernden Buchstaben in den Berg geschrieben, riesengroß und weithin sichtbar für jedermann im Tal." Es ist eines der wenigen schönen Erlebnisse in Eggers Leben, nur währt das Glück nicht lange, weil eine Lawine zuschlägt. Egger zieht in den Krieg, verbringt acht leidvolle Jahre in Russland an der Front und als Kriegsgefangener und schreibt seiner Marie, die im Schnee versank, den ersten Brief seines Lebens.
Härte des Lebens
Es gibt viele archaische und beeindruckende Szenen in diesem kleinen und überaus poetischen Roman. Seethaler beschreibt in schlichter und beeindruckender Sprache die Härte eines einfachen Lebens, dessen vorgegebene Spur vom Schicksal immer wieder durchkreuzt wird, und die Einsamkeit eines Mannes, der so wenig will und dem das Wenige immer wieder genommen wird. Aber er klagt nicht, sondern geht tapfer und beharrlich den nächsten Schritt im Leben. In seinem Leben.
Die neue Zeit
Im Hintergrund blinkt die neue Zeit – der Berg wird von Seilbahnen gezähmt und von Touristen bevölkert, denen Egger als Bergführer seine sperrige Heimat zeigt. Es ist sein letzter Dienst am Berg, mit dem er das bisschen Geld verdient, das er braucht, bis der Tod kommt und er einen "hellen Schmerz" spürt: "Geduldig wartete er auf den nächsten Herzschlag. Und als keiner mehr kam, ließ er los und starb." Ein wunderbares, berührendes Buch!
(Christiane Schwalbe)
Robert Seethaler *1966 in Wien, Schriftsteller und Drehbuchautor, lebt in Wien und Berlin
Robert Seethaler "Ein ganzes Leben"
Hanser Verlag 2014, 3. Auflage 160 Seiten, 17,90 Euro
eBook 13,99 Euro, Audio-CD 19,99 Euro, Hörbuch-Download 12,99 Euro
Weitere Buchtipps zu Robert Seethaler
"Das Café ohne Namen"
"Der letzte Satz"
"Das Feld"