Saša Stanišić
Wie der Soldat das Grammofon repariert
"Mit Hochgeschwindigkeit und nicht enden wollendem Einfallsreichtum beschreibt der Autor die Nähe von Glück und Grauen in Bosnien, den Übergang vom Menschen- in Totentanz, von Freud- in Leidenstränen. In seinem Buch geht rasend eine Welt unter, doch Stanišić weiß diese Welt in einem jungen Lied zu bergen."
So lobte die Jury des Bremer Literaturpreises den jungen Autor Saša Stanišić anlässlich der Verleihung des Förderpreises für seinen Roman "Wie der Soldat das Grammofon repariert".
Aus der Perspektive eines Kindes
Saša Stanišić macht den Bosnienkrieg zum Thema eines Romans, in dem Krieg und Frieden frontal aufeinander treffen: tragisch und komisch, wirklich und erfunden, grausam und brutal. Möglich ist das nur aus der Perspektive eines Kindes, in der sich Realität und Fiktion zum wilden Chaos mischen. Also mischt Saša Stanišić im Sinne des Wortes alles auf, was er vor und nach dem Krieg erlebt und erfahren hat.
Typische Großfamilie
Sein autobiografischer Familienroman, der virtuos mit unterschiedlichen Stil- und Ausdrucksmitteln umgeht, spielt mit den lebhaften Erinnerungen Aleksandars. Das Kind wächst in einer typischen Großfamilie auf: zwei Opas und zwei Omas, Urgroßeltern, Eltern, Onkel und Tanten. Aber eigentlich zählt nur Opa Slavko. Kurz vor seinem Tod schenkt er Aleks noch Zauberstab und Zauberhut und die wichtigste Lebensweisheit überhaupt:
"Die wertvollste Gabe ist die Erfindung, der größte Reichtum die Fantasie. Merk dir das, Aleksandar", sagte Opa ernst, als er mir den Hut aufsetzte, "merk dir das und denk dir die Welt schöner aus". Er übergab mir den Stab. Ich zweifelte an nichts mehr..
Ein Schwein sucht die Freiheit
Also verzaubert sich Aleksander die Welt und denkt sie schön - was sie zweifelsohne auch ist: auf den großen Familienfesten zum Beispiel, bei denen sich buchstäblich die Tische biegen - egal ob zur Einweihung des neuen Innenklos, zu Beerdigungen, Hochzeiten oder zum Schweineschlachten. Anlässe gibt es genug und Anekdoten auch, denn nicht jedes Schwein läßt sich einfach den Garaus machen.
"Es sieht das gewetzte Messer und rechnet zwei und zwei zusammen. Es sagt sich: in Ordnung, jetzt aber nichts wie weg hier ….und .. rauscht auch schon über den Hof und raus auf die Wiesen. Wir hinterher, das entfesselte Tier galoppiert über die Wiesen in die Freiheit!"
Krieg? Gleichvorbei!
Szenen zum Totlachen, die sich vor den Augen des Lesers aufbauen, als säße er als Zuschauer in der ersten Reihe. Szenen von unbändiger Komik, die den Reichtum urtümlichen und ursprünglichen Alltagslebens illustrieren - bis hinein in die sozialistischen Grundsätze Titos, der nicht tot zu kriegen ist. Aber die tägliche Komik findet ein jähes Ende:
"Dann brach der Krieg aus, und niemand nannte ihn Krieg. Das, sagte man. Oder Scheiße. Oder Gleichvorbei."
Bomben und Granaten fallen, Soldaten plündern und morden, Menschen sterben. Mittendrin der kleine Aleksander, der diese zerfallende Welt immer noch mit Unschuld betrachtet:
"Ich bin ein Gemisch. Ich bin ein Halbhalb. Ich bin Jugoslawe, also zerfalle ich. Es gab den Schulhof, der sich wunderte, wie ich so etwas Ungenaues sein konnte …".
Unbändige Lust am Erzählen
In den ebenso naiven wie altklugen Betrachtungen des Kindes mischen sich Klischees und Kuriositäten, Träume und Hoffnungen, Angst und Scham. Tragikomisch, melancholisch, traurig, oft rasend schnell und nahezu atemlos erzählt Stanišić Geschichten von Krieg und Frieden in einem Land, das in seine Einzelteile zerfällt. Wie in einem vielfarbig sprühenden Feuerwerk entwirft er das Bild eines Landes, das ebenso zerrissen ist wie seine Seele angesichts der Erinnerungen an die Kindheit auf dem Balkan...
(Christiane Schwalbe)
Saša Stanišić *1978 in Višegrad, Bosnien und Herzegowina, deutschsprachiger Schriftsteller
Saša Stanišić "Wie der Soldat das Grammofon repariert"
Roman, Luchterhand Literaturverlag 2006, 320 Seiten, Taschenbuch 9,99 Euro
eBook 8,99 Euro, Hörbuch Download 12,05 Euro
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