Thomas Josef Wehlim
Legende von Schatten
Ein Roman wie eine Fieberphantasie: Er beginnt mit der Erinnerung an eine Liebesnacht, aus der ein Sohn hervorging, und der Hof von Lima darf niemals erfahren, dass dieses Kind nicht der Sohn des Vizekönigs von Peru ist.
Reiches Südamerika
Das Gesicht des Leutnants Amado, des Geliebten der Ana da Silva, wird zerstört, damit man ihn niemals als Vater erkennt, und erst am Sarge seines Kindes wird er seine eigenen Züge wiedererkennen. In den Jahren dazwischen, den 6oer Jahren des 16. Jahrhunderts ist er einer der vielen, die sich im Kampf um die Reichtümer Südamerikas verstrickten.
"Sie ritten los. Esmeralda neben Zapatero. Und hinter ihnen Männer mit Fratzen aus Leere, Hass, Vergeblichkeit. Dann, eines Tages begriffen sie, dass sie eine Armee waren. Eine große Armee. So viele dieser Armeen waren vor ihnen durch die Kontinente gezogen. So viele würden nach ihnen kommen, auf der Suche nach Tod, nach Ruhm, nach Vergeltung. Nun waren sie an der Reihe."
Heilige und Halbgötter
Eine dieser Armeen der Gier sind die Constructores, die Baumeister. Ihr Anführer Monteso macht Angebote, die man schwerlich ablehnen kann – Kathedralen sollen renoviert, Tunnel gegraben werden, und er baut Jahrmärkte mit hölzernen Riesenrädern und Bahnen.
"Bald ging ihnen bei den Hispaniern, Indios und Mestizen der Region der Ruf von Magiern voraus, von Heiligen oder Halbgöttern, die mit großen Steinblöcken und schweren Baumstämmen spielten wie Kinder mit Kieselsteinen und Zündhölzchen. Niemals begehrten sie einen anderen Lohn als Essen, Unterkünfte und einige Stunden mit Maisbier, Cocapfeifen und alten Geschichten an einem Lagerfeuer …"
Capitán Zapatero führt die Soldaten an, die diese Tunnelbauer suchen und töten sollen. Seine Söldner bringen alle Indianer um, derer sie habhaft werden können – bis er selbst auf blutenden Knien um Vergebung flehen wird, nachdem er längst die Seiten wechselte und Esmeralda half, sich von ihrem Gatten, dem Vizekanzler, zu befreien.
Gier nach Reichtum
In diesem glänzend erzählten Roman bewegen sich Menschen aufeinander zu, ohne ihr Ziel zu kennen, während andere ins Leere fallen, denn die blutige Geschichte des geschlagenen Inkareiches wirft einen langen Schatten. Thomas Josef Wehlim verknüpft die Geschichte des Schiffsjungen Inigo und seines Kapitän Tebalitze, die schon ein Jahrhundert eher begann, mit der Suche der Konquistadoren nach den Reichtümern des Kontinents und lässt sie in der Atacama-Wüste enden.
"Die Wüste der Wüsten. Wasser ist ein fernes Gerücht. Jedes Leben wird ein vertrocknender Kadaver. Apakani zieht ein Tuch über das Gesicht. Skulpturen aus Stein und Salz, vom Wind geschliffen, säumen den Weg. Die Götter lieben die Bildhauerei."
Doch die Menschen, die in wenigen Jahren Städte bauten, in denen die Hufe der Pferde und das Essgeschirr aus Silber waren und die Wege mit versilberten Barren gepflastert wurden, werden von allen Göttern verlassen – auf dem Wege zum El Dorado müssen sie begreifen, dass sie nicht als Götter zu den Indianern gekommen sind, sondern immer schon Täter waren und selbst Opfer werden.
Theater der Grausamkeit
Thomas Josef Wehlim kennt die Geschichte der Eroberung Südamerikas, und er weiß um die Legenden und Bilder, die sie begleiten. Das imaginäre Geflecht, in das er die Leser lockt, lebt von den Verzahnungen, Täuschungen und Fallen, die unser Blick auf die Geschichte mit sich bringt, und es gelingt dem Autor, seine Glücksritter und Krieger, die schönen Damen und die Indios darin zu ebenso farbenfrohen wie düsteren Szenen zu versammeln, in einem Theater der Grausamkeit, das in unsere eigene Zeit hinein weist.
(Lore Kleinert)
Thomas Josef Wehlim *1966 in Witten/Ruhr, deutscher Autor, lebt in Leipzig
Thomas Josef Wehlim - "Legende von Schatten"
Edition Rugerup 2013, 165 Seiten, 17,90 Euro
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