Maria Gainza
Schwarzlicht
„Sie war imstande, durch ein Bild hindurchzusehen, seine Matrix zu erfassen. Und sie verfügte über die angeborene Gabe, ein Bild im Kopf in seine Einzelteile zu zerlegen und anschließend wieder zusammenzusetzen wie ein Schweizer Uhrmacher einen mechanischen Zeitmesser.“
Schutz und Abenteuer
Als die junge Ich-Erzählerin und Kunstkritikerin in der Taxierungsstelle der Banco Ciudad Enriqueta Macedo kennenlernt, eine der angesehensten Sachverständigen, wenn es um die Echtheit und den Wert von Gemälden geht, ist es um sie geschehen. Sie lernt alles Wesentliche von ihr, und als sie erfährt, dass ihre Freundin seit vierzig Jahren gefälschte Bilder für echt erklärt, beginnt sie, sich in der Welt des Verbrechens zuhause zu fühlen:
„ .. meine beiden Hälften – die, die nach Schutz suchte, und die, die auf Abenteuer aus was – waren zufrieden.“
Doch das ist nur der Beginn eines intelligenten Rätselspiels um Wahrheit und Fiktion, in das sich hier vor allem die Frauen verstricken und das die Leserinnen und Leser verlockt, sich darauf einzulassen. Männer spielen Nebenrollen, gut aufgebaut und feinziseliert.
Exzentrische Meisterfälscher
Nach ihrem ersten sehr erfolgreichen Roman „Lidschlag“ macht die argentinische Schriftstellerin und Kunstexpertin erneut eine Kunstkritikerin zur Heldin, im Spiegelkabinett exzentrischer Meisterfälscher und gieriger Sammler. Enriquetas plötzlicher Tod stürzt ihre Schülerin in tiefe Verzweiflung, verliert sie mit ihr doch ihr Vorbild und die ideale Mentorin, und wir erfahren, dass ihr Herz „unter einem Eispanzer“ begraben liegt. Ihre Suche nach der angeblich größten aller Kunstfälscherinnen, La Negra, in der ‚Bande der melancholischen Kunstfälscher‘ bekannt, aber dennoch eine sehr flüchtige Erscheinung, soll ihre Verbindung mit ihrer Ersatzmutter lebendig halten. Zugleich streift der Bericht, den sie dabei verfasst, viele Bereiche der Kunst, der Literatur, spielt auf tatsächliche und erfundene Umstände an, und allmählich wird man sich, lesend und der unzuverlässigen Erzählerin folgend, des schwankenden Bodens bewusst, auf den sie uns führt. Und die Autorin macht keinen Hehl daraus, dass die Geschichte der trauernden Kunstkritikerin zumindest doppelbödig ist und allerhand Fallstricke und Irrwege bereithält. Schließlich geht es darum, die Erinnerung wach zu halten – und ihr beizukommen:
„Der Versuch, mithilfe von im Gedächtnis gespeicherten Bildern ein Ereignis zu rekonstruieren, kommt meist der Halluzination allzu nahe – statt die Vergangenheit wiederherzustellen, schaffen wir sie neu, soll heißen: Wir machen Dramaturgien daraus.“
Reich der Gespenster
Gibt es La Negra wirklich, oder ist sie bloße Fiktion, eine Projektion und Wunschvorstellung, die nie jemand wirklich kannte? Ist sie die Herrscherin über das Reich des Ungefähren, das von Gespenstern bevölkert ist und nur in der Vorstellung der trauernden Frau existiert? Die tote Enriqueta selbst war nicht bereit, alles in Worte zu fassen und sich auf diese Weise festzulegen, und das Zwischenreich von Fantasie und Fälschung, in das sie ihre junge Komplizin einführte, hat seine eigenen seltsamen Regeln. Maria Gainza zieht hier die Fäden und spielt mit Erfindung und Wahrheit ebenso souverän wie der Kunstbetrieb selbst. Ihre ironische Sprache, gespickt mit zahlreichen Anspielungen auf Größen aus Literatur und Geistesleben lässt das Abenteuer der Komplizin zur abenteuerlichen Reise für Leserinnen und Leser werden.
„Merkwürdig: Ich stelle fest, dass man weder schreibt, um sich zu erinnern, noch, um zu vergessen, und auch nicht, um Trost zu finden oder den Schmerz zu überwinden. Man schreibt, um sich abzuhorchen, um zu begreifen, wie es in einem aussieht.“
(Lore Kleinert)
María Gainza, *1975 in Buenos Aires, argentinische Korrespondentin, Kunstkritikerin und Kuratorin, lebt in Buenos Aires
Maria Gainza „Schwarzlicht“
aus dem argentinischen Spanisch von Peter Kultzen
Roman, Verlag Klaus Wagenbach Berlin 2023, 155 Seiten. 22 Euro
eBook 17,99 Euro
Weiterer Buchtipp zu Maria Gainza
Lidschlag, Roman