Tan Twan Eng
Das Haus der Türen
„Schweigend saßen wir da und verbargen unsere wahren Gedanken. Das, was eine Ehe aufrechterhielt, was sie Jahr für Jahr weiter bestehen ließ, waren die Dinge, die unausgesprochen blieben, die Wahrheiten, die wir so gern offenbart hätten, aber hinunterschluckten, zurückdrängten in die tiefsten, dunkelsten Winkel unserer Herzen.“
Intrigen im Hintergrund
Der britische Schriftsteller Somerset Maugham spürte die Geheimnisse seiner Mitmenschen in den dunklen Winkeln ihrer Herzen auf, verwandelte sie in Literatur und schließlich in eigenen, üppigen Wohlstand. Der für den Booker-Preis nominierte Autor Tan Twan Eng macht ihn zur Schlüsselfigur seines Romans: Gefangen in einer unglücklichen Tarn-Ehe und am Rande des finanziellen Bankrotts besucht Willie, so nennen ihn seine Freunde, Anfang der zwanziger Jahre seinen Kriegskameraden Robert Hamlyn und dessen Frau Lesley, wohlhabende Engländer der High Society der Expatriates im britisch besetzten Penang, im Cassowary House. Sein Geliebter Gerald Haxton begleitet ihn und genießt die Freuden des kolonialen Lebens auf seine eigene, ausschweifende Weise, nachdem er als Homosexueller aus England dauerhaft verbannt worden war. In diesen beiden Wochen wird der alternde Schriftsteller zum Zuhörer, dem sich die desillusionierte Lesley anvertraut.
Viele der Ereignisse haben historische Bezüge, die der Autor akribisch recherchiert hat, zum Beispiel die Geschichte des ersten Mordprozesses gegen eine britische Lady, die einen angeblich zudringlichen Bewunderer erschoss. Aus Lesleys Sicht, deren Freundin Ethel Proudlock war, erfährt Maugham einiges über die Intrigen im Hintergrund, und sein umstrittener Roman „Der Kasuarinenbaum“ wird ihm wieder zu Ruhm und Geld verhelfen.
„Wir bekommen immer nur das unvollständige Bild zu sehen“, erwiderte Willie. „Die Aufgabe des Schriftstellers besteht darin, die Lücken zu füllen. Und er entscheidet, wie die Geschichte endet.“ Der Gedanke war mir nie gekommen: dass wir zwar in der Lage waren, unsere Vergangenheit, die Anfänge zu ändern – doch zumindest unsere Wahrnehmung davon -, kein Mensch jedoch das Ende seiner Geschichte bestimmen konnte.“
Angst vor Entdeckung
Das Ende ihrer eigenen Liebesgeschichte vor dem großen ersten Krieg, als der chinesische Freiheitskämpfer Sun Yat-Sen das Zentrum seines Kampfes der Tongmenghui um die Revolution Chinas nach Penang verlegte, erzählt Lesley dem Schriftsteller ebenfalls und durchlebt die kurze Zeit des Glücks so noch einmal. Elf Jahre liegt sie zurück, doch ihre Schilderung im Vertrauen auf Willies Verschwiegenheit ist wunderbar subtil und farbenfroh und lässt die Arkadengänge der Shophouses in der Armenian Street, wo sie damals den Freiheitskampf unterstützte und Arthur, ihren Geliebten kennenlernte, wieder auferstehen – eine längst versunkene koloniale und exotische Welt der bunten Fassaden, detailreichen Verzierungen und fremdartigen Gerüche:
„Der Boden dieser Durchgänge besteht üblicherweise aus bunt gemusterten Terrakottafliesen. Rechts und links der Eingangstür – meist eine zweiflügelige Tür mit Wabenkern, hinter der sich eine schlichte, robustere Innentür aus Holz verbirgt – befindet sich jeweils ein Fenster mit Laden. Über den Fenstern sind Lüftungsöffnungen eingelassen, die den groben Umriss einer Fledermaus haben und durch dünne, senkrecht geordnete Eisenstäbe gesichert sind.“
Hier fand die verschlossene, von der Untreue ihres Mannes tief enttäuschte Frau ihren Zufluchtsort, und die Angst vor der Entdeckung, dem Skandal, schwang immer mit, wenn sie im Haus der Türen war und Arthur für sie auf der Guzheng, der chinesischen Laute spielte: „Die Töne, die von den Saiten flirrten, hörten sich an wie verdichtete Tränen; sie hallten in der Luft nach und zergingen zu Stille.“
Heikle Tarnmanöver
Als die Revolutionäre nach China zurückkehrten, folgten „elf Jahre Schweigen, keine Zettel, keine Briefe“, so hatten sie es sich geschworen. Nach dem Tod ihres Mannes, dem sie bald nach Willies Besuch widerwillig nach Südafrika gefolgt war, erinnert sich Lesley 1947 noch einmal an die verlorene Zeit und das geliebte Penang. Tan Twan Engs Roman durchquert die Zeiten mit Eleganz und spielt mit den Schleiern der Erinnerung, in genauer Kenntnis der Sprache und der Erkenntnisgrenzen seiner Protagonisten, deren koloniale Existenz im zweiten großen Krieg des 20. Jahrhunderts endgültig beendet wurde.
Auch sein Schriftsteller Maugham, als Homosexueller selbst gefährdet und zu heiklen Tarnmanövern gezwungen, durchlebt in der kurzen Zeit seines Besuchs in Penang etliche Krisen und ist doch als Beobachter ganz im Stil seiner eigenen farbenfrohen Geschichten bestens getroffen. Eng imitiert seine Sprache nicht, sondern nutzt sie, mit vielen Referenzen auf Maughams Bücher, die damals im Entstehen waren und später zu großen Erfolgen wurden. Die fremde Welt, die der britische Schriftsteller so gut kannte und stets aus der Perspektive des privilegierten Weltreich-Bewohners beschrieb, bringt Tan Twan Engs Roman uns nahe, in all ihrem poetischen Reichtum und ihren, zumal für Frauen, engen Grenzen und schmerzlichen Sehnsüchten.
„Aus dem Laden strömten die herben Gerüche von Ginseng, Cordyceps und hundert anderen Pflanzen, die ich nicht kannte. Sie heilten die Luft; die Verzweiflung in meinem Herzen vermochten sie nicht auszuräuchern.“
Die Verzweiflung jedoch verhalf Lesley dazu, sich zu einer komplexeren und klügeren Person zu entwickeln, und auch diese Geschichte erzählt dieser erstaunlich aktuelle Roman.
(Lore Kleinert)
Tan Twan Eng, *1972 in Malaysia, Rechtsanwalt und Autor, lebt in der Hauptstadt Malaysias, Kuala Lumpur
Tan Twan Eng „Das Haus der Türen“
aus dem Englischen von Michael Grabinger
Roman, Dumont Verlag 2025, 352 Seiten, 24 Euro
eBook 19,99 Euro
Weiterer Buchtipp zu Tan Twan Eng
"Der Garten der Abendnebel"