Michael Pollan
Kochen
Eine Naturgeschichte der Transformation
Man mag es kaum glauben, aber es gibt sie tatsächlich: "Eine Abhandlung über Schweinebraten" von Charles Lamb (britischer Essayist und Dichter, 1775-1834). Michael Pollan hat bei ihm eine makabre Geschichte aus China gefunden, die der Anfang allen Grillvergnügens gewesen sein könnte.
Brennende Hütten
Der Sohn eines Schweinehirten brannte versehentlich die Hütte der Familie ab, inklusive kleiner Ferkel. Sie auf ein Lebenszeichen abtastend, roch und schmeckte er an seinen Fingern Bratenkruste … Fortan brannten Hütten häufiger, bis man drauf kam, dass man Schweinefleisch auch anders braten könnte.
Vergnügen und Sorge
Michael Pollans Buch ist reich an Anekdoten und Geschichten, vor allem aber an Wissen über die wichtigste Kulturtechnik unserer Zivilisation: Kochen. Leider geht das Wissen um die Zubereitung von Nahrungsmitteln zunehmend verloren, weshalb Michael Pollan in diesem Buch nicht nur das Vergnügen umtreibt, das ihm Kochen bereitet, sondern auch die Sorge, dass diese typisch menschliche Tätigkeit auszusterben droht; denn wir überlassen das Kochen profitorientierten Nahrungsmittelkonzernen, die letztendlich nur denaturierte, also substanzlose Produkte produzieren, die der Gesundheit zunehmend schaden.
Vier Elemente
Der Journalist und Autor zahlreicher aufklärender und durchaus provokanter Bücher über Ernährung, in denen er stets für die Natürlichkeit unseres Essen wirbt und die industrielle Produktion verdammt, nimmt uns mit auf eine Reise durch jene vier Elemente, die nicht nur den Gang der Welt bestimmen, sondern auch die Entwicklung der Menschheit: Feuer, Wasser, Luft und Erde, einst von griechischen Philosophen als Grundlagen alles Seins beschrieben.
Komplizierte Regeln
Und so bemüht Pollan in seinem wunderbaren und klugen Buch immer wieder Philosophen, aber auch erfahrene und bodenständige Praktiker, wenn er uns in die feurigen Sphären des typischen amerikanischen Speisekults führt - zum Barbecue in die Südstaaten Amerikas, wo das Grillen ganzer Schweine uralten Ritualen und höchst komplizierten Regeln folgt.
Elementare Grundlagen
Er reist um die halbe Welt, um das glühende Feuer unterm Fleisch genauer zu erkunden und kehrt dann doch wieder zurück zum guten alten Kochtopf, "eine Art zweiter menschlicher Magen". Hier regiert das Element Wasser, hier stehen wir in der eigenen Küche, und hier lehrt er uns die Geheimnisse eines guten Topfgerichts. Nicht nur Eintopf, auch Suppen, Schmorgerichte und Braten, eben alles, was vor sich hin köcheln muss. Das beginnt in der Regel mit einer fein geschittenen Zwiebel, der elementaren Grundlage großer und kleiner Kochkunst, ergänzt durch viel klein gehacktes Gemüse – Mirepoix oder Soffritto. "Kochen" ist zwar kein Kochbuch, aber man lernt viel übers Kochen, auch über diesen magischen Geschmack Umami.
Mit Mund und Nase
Zum Verständnis grundlegender Prozesse in der Küche unternimmt Pollan Ausflüge in die Naturwissenschaften – Chemie, Physik und Biologie. Er bemüht Experten aller Fachrichtungen, aus Archäologe, Psychologie und Mikrobiologie. Und er besucht außergewöhnliche Köchinnen und Köche, bei denen er die Geheimnisse großer (und meist sehr einfacher) Kochkunst lernt, um - wieder zuhause – aus Fleisch und Gemüse selbst Köstlichkeiten zuzubereiten, die von ungeahnter (vielleicht unbekannter) "retronasaler Olfaktion" begleitet werden: Wir riechen, während wir kauen.
Stille Helden
Wir erleben in seiner Küche das Element Luft und mit ihm die ungeahnte Sinnlichkeit von Hefepilzen und Bakterien im Sauerteig und beim anschließenden Brotbacken. Wir lassen uns das Ökosystem Darm erklären und die unglaublichen Fähigkeiten von Mikroben, Keimen und Bakterien Revue passieren, unter ihnen der Lactobazillus plantarus, ein "stiller Held unserer Gesundheit".
Womit wir beim Element Erde angekommen sind und bei der ältesten Form der Konservierung, dem Vergären. Es sind faszinierende, pulsierende und manchmal überraschend explosive Prozesse, die der Autor beim Experimentieren erlebt.
Universum im Kochtopf
Ob wissenschaftlicher Exkurs, hautnah erlebtes Experiment oder staunendes Beobachten kulinarischer Prozesse – Michael Pollan erzählt stets im unterhaltsamen Plauderton, plädiert fundiert gegen standardisierte Nahrungsmittel aus dem Supermarkt, verurteilt die Hektik moderner Speisenzubereitung und eröffnet uns ein ganzes Universum: mit einem Topfgericht, das stundenlang vor sich hin lächelt statt zu blubbern, denn "Zeit ist die fehlende Zutat in unseren Rezepten - und in unserem Leben."
"Kochen" ist ein Buch, das man unbedingt genüsslich, also mit Muße lesen sollte.
(Christiane Schwalbe)
Michael Pollan "Kochen"
Eine Naturgeschichte der Transformation
übersetzt aus dem Amerikanischen von Katja Hald, Enrico Heinemann und Renate Weitbrecht
Kunstmann Verlag 2014, 480 Seiten, 29,95 Euro
eBook 23,99 Euro
Weitere Buchtipps zu Michael Pollan
Meine zweite Natur
Vom Glück, ein Gärtner zu sein
Essen Sie nichts, was Ihre Großmutter nicht als Essen erkannt hätte
Goldene Regeln für eine gute Ernährung