Jakob Hein
Die Orient-Mission des Leutnant Stern
1915 - der weltweit bedeutendste Orientalist Freiherr Max von Oppenheim hat eine abenteuerliche Idee, und sie wird das Deutsche Reich eine Menge Geld kosten - aber möglicherweise auch den 1. Weltkrieg zu seinen Gunsten wenden: Zusammen mit dem Osmanischen Reich soll der Dschihad, der Heilige Krieg, organisiert werden.
Roter Teppich für den Kaiser
Ein Aufstand der Muslime in den britischen und französischen Kolonien könnte die Schlagkraft der Kolonialmächte schwächen, die Alliierten vielleicht sogar zur Kapitulation zwingen. Das war der Plan, der bei Wilhelm II. auf offenen Ohren stieß, fühlte er sich doch als Freund der Muslime:
"Nur im Orient rollen sie ihm die roten Teppiche aus und empfangen ihn mit offenen Armen. Bei seiner Tischrede in Damaskus hat Wilhelm sich als ewigen und treuen Bündnispartner aller Muselmane bezeichnet. Und seitdem sind sie ganz verrückt auf unseren Kaiser ..."
Die möglichen Ausmaße der Idee dürfte wohl auch er nicht bedacht haben, allein der heutige Blick darauf macht diese Geschichte nahezu gespenstisch.
Tollkühner Abenteurer
Für den absonderlicher Plan suchte man einen Mann, der Waghalsigkeit und Abenteuerlust verkörpert, und findet ihn in Leutnant Stern. Der jüdische Journalist wird aus den Schützengräben ins preußische Kriegsministerium nach Berlin beordert. Als Abenteurer aufgefallen ist er mit der Lancierung eines eigenen, ebenso tollkühnen Planes, den Suezkanal zu sprengen. Wer sich so was ausdenkt, kann auch den Dschihad organisieren:
"Sie sind ein Wahnsinniger, Stern, … und es könnte sein, dass wir genau ihre Art von Wahnsinn benötigen, um diesen Krieg erfolgreich zu führen ..."
Riskante Kontrollen
Also beauftragt man ihn, mit einer Gruppe Muslime, französische Kriegsgefangene, getarnt als Zirkustruppe, quer durch Europa nach Konstantinopel – ins heutige Istanbul - zu reisen. Dort würden sie öffentlichkeitswirksam freigelassen, was den Sultan dazu bewegen sollte, den Heiligen Krieg auszurufen. Die Reise verläuft natürlich nicht ohne riskante Unterbrechungen und nervenaufreibende Grenzkontrollen. Erschwerend kam hinzu, dass der Sultan ein nicht unbedingt einfacher Gesprächspartner war, obendrein nicht über einen Telefonapparat verfügte:
"Unglücklicherweise schien sich der Sultan nie eingehender mit dem Djehad beschäftigt zu haben. Also musste (man) indirekt Hinweise geben, dem Sultan um den Bart gehen und palavern, bis dieser langsam zu verstehen begann..."
Bizarre Geschichte
Ein Wanderzirkus mit kriegswichtigem Auftrag – dem Autor fiel diese Geschichte auf einer Reise nach Israel buchstäblich in den Schoß und er versammelt in seinem Roman reale und fiktive Spielfiguren, verknüpft kriegerische Machtphantasien, kulturelles Unverständnis und reale Lebensgeschichten zu einem amüsanten, verblüffenden, aber auch manchmal verwirrenden Roman. Aufgrund der Vielfalt der immer neu ins Geschehen aufgenommenen Personen und militärischen Fakten, den damit verbundenen häufigen und überraschenden Perspektivwechseln ist er nicht immer einfach zu verstehen, weil der Autor nötige Hintergrundinformtionen erst im Anhang präsentiert. Das mindert etwas die Leselust an diesem insgesamt vergnüglichen Roman, der vor allem durch seine absolut bizarre Geschichte glänzt.
(Christiane Schwalbe)
Jakob Hein, *1971 in Leipzig, Psychiater und Autor zahlreicher Bücher, lebt seit 1972 in Berlin
Jakob Hein "Die Orient-Mission des Leutnant Stern"
Roman, Galiani Berlin 2018, 256 Seiten, 18 Euro
eBook 16,99 Euro
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