Jakob Hein
Wie Grischa mit einer verwegenen Idee
beinahe den Weltfrieden auslöste
Grischa ist noch jung und neugierig, hat die „Hochschule für Ökonomie Bruno Leuschner" als einer der Besten seines Jahrgangs absolviert verlassen und sich - nach tränenreichem Abschied von der Mutter - aus Gera in Richtung Berlin auf den Weg in eine vielversprechende Zukunft gemacht. Wir befinden uns im Jahr 1982, Ostberlin.
Bruderländer
Er steckt voller Tatendrang, den er als Asssistent in der staatlichen Plankommission, genannt PlaKo, auszuleben gedenkt. Vom vorgesetzten Genossen bekommt er ein karges Büro im 5. Stock zugewiesen, wo die Beziehungen der DDR mit den kleineren Bruderländern verwaltet werden, und ist wild entschlossen, sich schnellstens einzuarbeiten. Sein Thema: Freundschaft und Zusammenarbeit mit Afghanistan. Gerade erst ist ein Vertrag geschlossen worden:
„Die hätten von uns gern Bücher und Maschinen und Fahrzeuge und Konsumgüter und Dünger und alles, was wir sonst noch produzieren. Aber sie haben: nichts .... Und darum ... werden sie sich in den ersten Wochen ihrer beruflichen Tätigkeit mit einem sehr wichtigen Teil von angestellter Tätigkeit vertraut machen müssen: dem kunstvollen Warten."
Zum Beispiel auf die Mittagspause um 11.30 Uhr. Oder darauf, „Club" zu rauchen, oder zu trinken, Rotwein gibt's in der Kantine.
Medizinalhanf
Nicht gerade ein fulminanter Einstieg ins Berufsleben für einen dynamischen Jungaktivisten, aber so leicht ist Grischa nicht abzuschrecken. In seinem Kopf lauern diverse Ideen, nicht umsonst ist er ein begeisterter Kinofan - aus welchem Land die Filme kommen, ist ihm ziemlich egal, seinem kleinen (subversiven) Filmclub auch. Und subversiv ist ohne Frage auch sein Afghanistan-Plan, denn es geht um Haschisch, die im Bruderland erfolgreich und in großen Mengen angebaute Droge, die man importieren und an die BRD verkaufen könnte. Schließlich steckt sie auch im Medizinalhanf, in der DDR unter dem Namen Plantival erhältlich.
„Wir könnten doch mit der Demokratischen Republik Afghanistan Handel treiben, wenn wir ihnen ihr landwirtschaftliches Produkt Medizinalhanf abkaufen. Das würde die Zusammenarbeit zwischen den Brudervölkern stärken und uns einen neuen Absatzmarkt erschließen. ... Gegen Cannabis gibt es derzeit keine offizielle Parteilinie ... Über Cannabis schreibt keiner was Schlimmes ... Als Rauschgift rangiert es aus wissenschaftlicher Sicht eher zwischen Alkohol und Nikotin."
Grischa hat sorgfältig recherchiert und beweist – dann schon in deutlich größerer Runde von Verantwortlichen – dass „die Unterscheidung zwischen diesem Genußmittel und Alkohol und Tabak gar nicht möglich" ist. Ein irrwitziger Plan und ein Plot, der es in sich hat und nicht weniger verspricht, als die Sanierung der maroden DDR.
Also reist eine kleine Delegation mit großen Plänen nach Afghanistan, und Grischas Vorstellungen werden Wirklichkeit – nicht ohne genussvolles Probieren des wertvollen Stoffs vor Ort: Schwarzer Afghane in reinster Qualität, der künftig an die BRD verkauft werden soll - in einem deutsch-afghanischen Freundschaftsladen an der Grenze.
Großes Lesevergnügen
Ohne weitere Einzelheiten dieser urkomischen Geschichte zu erzählen – die Geschäfte im kleinen Haschisch-Grenzverkehr florieren und bringen die zuständigen Behören hüben und drüben gehörig in Zugzwang. Jakob Hein läßt nichts aus – bürokratisches Funktionärsdenken, das heimliche gegenseitige Beobachten, den staatlich verordneten Kontrollzwang, die Überforderung der Passkontrollbeamten an der deutsch-deutschen Grenze und ihre Hilflosigkeit angesichts eines gewaltigen Zustroms „jüngerer, dem alternativen Milieu zugehörigen Personen" im Grenzbereich.
Es gibt unerwartete deutsch-deutsche Begegnungen und ein unverhofftes Arbeitsvolumen für die westdeutschen Behörden, das schließlich – nach Verhandlungen auf höchster Ebene - mit einem Milliardengeschäft endet. Realität und Fiktion finden in diesem Roman eine ziemlich atemberaubende Verknüpfung. Mit viel Humor und genauer Kenntnis durchleuchtet Jakob Hein innerdeutsche Verhältnisse und bringt sie schöner und heiterer in Erinnerung, als jede ernsthafte politische Betrachtung es könnte. Ein großes Lesevergnügen!
(Christiane Schwalbe)
Jakob Hein, *1971 in Leipzig, Psychiater und Autor zahlreicher Bücher, lebt seit 1972 in Berlin
Jakob Hein
"Wie Grischa mit einer verwegenen Idee beinahe den Weltfrieden auslöste"
Roman, Galiani Berlin 2025, 256 Seiten, 23 Euro
eBook 19,99 Euro
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