Juli Zeh
Leere Herzen
Es ist ein spannendes Stück Zukunft, das uns Julie Zeh in "Leere Herzen" präsentiert – eine Zukunft, die gar nicht weit entfernt ist, denn sie lässt ihren Roman im Jahr 2025 spielen.
Effizienzpakete
Es regiert die BBB – "Besorgte Bürger Bewegung" – die mit "Effizienzpaketen" die Grundrechte abschaffen und das Land umbauen will. Die Bürger*innen sind längst in Lethargie und Politikverdrossenheit abgedriftet – und in einen höchst ungewöhnlichen Trend: Immer mehr Menschen wollen sich umbringen.
Prototyp Braunschweig
Britta und Richard haben ihr Leben bequem eingerichtet, politisches Engagement ist nicht mehr angesagt, man lebt in Mittelstädten,
"mittelgroß, mittelwichtig und bis ins kleinste Detail dem Pragmatismus gehorchend. Es gibt alles, davon aber nicht zu viel, vom Wenigen genug und dazwischen erschwinglichen Wohnraum, breite Straßen und eine Architektur, die einen in Ruhe lässt."
Solch eine Stadt ist Braunschweig. Und hier lebt Britta mit Mann und Tochter im eigenen Haus, ein
"Betonwürfel mit viel Glas in einem ruhigen Wohnviertel, praktisch, geräumig, leicht zu reinigen, genau wie Braunschweig selbst, gerade Linien, glatte Flächen, frei von Zweifeln. Dermaßen durchdacht, dass es für jedes Möbelstück nur einen einzigen möglichen Ort gibt."
Kollateralschaden
Putin und Trump haben den Syrienkrieg beendet, die Kinder spielen am liebsten mit Glotzis, "kuschelige kleine Aliens mit drei großen Augen, die zur Zeit schwer in Mode sind" und Teil einer komplizierten Mars-Attacke, bei der immer wieder "Kollateralschaden" im Kinderzimmer gejubelt wird. Es gibt "Sport-ist-öffentlich"-Treffpunkte, neue Genpflanzen gegen den Hunger in der Welt werden gerade patentiert und Politik ist wie das Wetter:
"Sie findet statt, ganz egal, ob man zusieht oder nicht, und nur Idioten beschweren sich darüber. Dunkel erinnert sie sich, dass das einmal anders war. Sie sieht sich in einer Wahlkabine stehen und voller Überzeugung ihr Kreuz machen."
Geschäft mit dem Tod
Wir erleben einen netten Abend bei Britta und Richard, mit selbstgemachten Sushi und Veggie-Fleischwürstchen. Die Freunde erzählen vom Häuschen auf dem Land, das sie kaufen wollen. Zurück zur Natur ist in Zeiten politischer Gleichgültigkeit die neue Sehnsucht. In die Idylle platzen Fernsehbilder von einem Selbstmordattentat. Und Britta bekommt weiche Knie – warum, wird schnell klar: Sie und ihr Geschäftspartner Babak betreiben ein lukratives Geschäft mit dem Tod. Sie unterziehen Selbstmordwillige einem Therapieprogramm und holen sie raus aus der Todessehnsucht. Bleiben sie beim Suizidwunsch, werden sie an unterschiedliche Organisationen vermittelt, die prägnante Zeichen setzen wollen.
Gefährliche Gefühle
Beide Variationen bringen den beiden Geld, viel Geld. Brittas ewige Bauchschmerzen und Übelkeit zeugen davon, dass sie dabei mitnichten so cool ist, wie sie tut. Das Geschäft läuft so lange gut, bis irgendjemand dazwischenfunkt, sie sich entdeckt fühlen, in Lebensgefahr geraten – und Julietta auf der Bildfläche erscheint, eine junge Frau, die ihr Leben auf dramatische Weise beenden will und in Britta und Babak Gefühle weckt. Gefühle aber sind das letzte, was man in diesem Gewerbe gebrauchen kann.
Alte Welt im Umbruch
Politikverdrossenheit, Demokratiefeindlichkeit, eine reaktionäre Regierung, Terroranschläge, daneben bürgerliche Wohlanständigkeit und die Sehnsucht nach alten Zeiten – Julie Zeh bedient in diesem Roman eine Menge Klischees und verknüpft sie mit durchaus gegenwärtigen und absehbaren politischen Perspektiven, sie überzeichnet und lässt unsere Gegenwart deutlich durchschimmern. Auch ihre Figuren sind Prototypen einer alten Welt im Umbruch, der Rückzug in die Individualität macht die Auseinandersetzung mit der politischen Gegenwart zur Randerscheinung, an die allenfalls Fernsehbilder erinnern.
"Da, so seid ihr." Lautet die provozierende Widmung im Buch. Na gut. Darüber können wir gern nachdenken – nach den 350 Seiten dieses packenden und aktuellen Politthrillers, der uns eine ziemlich abstoßende Zukunft zeigt. Zukunft? Sind wir nicht schon mittendrin?
(Christiane Schwalbe)
Juli Zeh *1974 in Bonn, dt. Schriftstellerin und Juristin, lebt im Kreis Havelland/Brandenburg
Juli Zeh "Leere Herzen"
Roman, Luchterhand Literaturverlag 2018, 350 Seiten, 20 Euro
eBook 15,99 Euro
Weitere Buchtipps zu Juli Zeh
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"Neujahr"
"Unterleuten"
"Corpus Delicti" - Ein Prozess