Maja Lunde
Der Traum von einem Baum
Spitzbergen im Jahr 2097: Der fünfjährige Tommy entdeckt am Strand einen Baum, der an Land gespült wurde. Es gibt auf Spitzbergen keine Bäume, dieser ist von weither gekommen. Es ist nicht der erste seiner Art, der hier strandet, aber möglicherweise der letzte.
Überleben der Menschheit
„Dieser war anders, er sah aus, wie ein lebendiger Baum, mit großer, dichter Krone. Die Blätter waren zwar ein wenig welk und gekräuselt, aber viele saßen immer noch fest, und auch wenn ihre Farbe blass und verwaschen war, hatten sie einen deutlichen grünen Schimmer."
Die eigentliche Geschichte beginnt 2110: Mit seiner Großmutter und den zwei kleinen Brüdern lebt Tommy im Dorf Longyearbyen, einem unwirtlichen kleinen Ort mit ein paar hundert Einwohnern, abgeschottet von der übrigen Welt. Diese Welt gibt es nicht mehr, die Menschen haben sie nachhaltig zerstört und damit auch ihre eigene Existenz. Alles Wissen über frühere Zeiten findet Tommy in einer umfangreichen und gut erhaltenen Bibliothek, ergänzt durch die ausführlichen Erzählungen der Großmutter, deren Aufgaben er nach ihrem Tod übernehmen soll. Dazu gehört vor allem die Verantwortung für den Saatguttresor auf Spitzbergen, in dem bei minus 18 Grad Pflanzensamen aus der ganzen Welt gelagert werden. Ein Schatz, der das Überleben der Menschheit garantieren könnte. Es sind einst regionale Saatgutbanken, die auf Spitzbergen zusammengeführt wurden:
„Während sich die Menschen dort draußen in der Hitze bekriegten, wurde ihr Saatgut hier drinnen auf Eis gelegt. ...Wir haben uns verpflichtet, die Samen nicht anzurühren und sie sicher aufzubewahren und zu beschützen, weil es sein kann, dass man sie eines Tages wieder braucht..."
Geheimnisvolle Krankheit
Der inzwischen 17jährige Tommy muss seine Brüder allein versorgen, seit die Mutter bei der Geburt des Jüngsten gestorben ist. Das (Über)Leben auf Spitzbergen ist hart, gleicht dem von Jägern und Sammlern. Der Permafrost taut, die Gletscher schmelzen, Erdrutsche sind an der Tagesordnung. Es gibt keine Infrastruktur, keine ärztliche Versorgung, keine Medikamente, keine vorproduzierten Lebensmittel. Nur eine teilweise zerstörte Satellitenstation ermöglicht Kontakt zur Außenwelt, ein Mikrokraftwerk produziert noch etwas Strom, und in einem Gewächshaus gedeihen Obst und Gemüse.
„So war es mit allen Spuren menschlichen Lebens auf Spitzbergen, die Natur hatte die Materialien in Besitz genommen, sie sich angeeignet ... Früher oder später eroberte die Natur ohnehin alles zurück."
Die kleine Gemeinschaft von Longyearbyen hatte sich weitgehend selbst versorgt, im Einklang mit der Natur – oder was davon noch übrig ist. Bis eine geheimnisvolle Krankheit die Menschen dahinrafft. Die drei Brüder und ihre Großmutter überleben. Als wenig später auch die Großmutter stirbt, ist Tommy völlig auf sich allein gestellt, unterstützt nur von zwei weiteren Überlebenden: einem gleichaltrigen Mädchen, das seine kleine Schwester versorgt:
„In diesem Leben gibt es keine Wahl, denn eine Wahl beinhaltet auch eine mögliche Veränderung. Und er kann es sich nicht leisten, die Struktur zu ändern, die er geschaffen hat. Essen, schlafen, arbeiten, lesen. Jeder Tag genau wie der vorherige. Die Uhr ist das, was für ihn einem Gott am nächsten kommt, die Routinen sind seine Religionsausübung."
Eindeutige Botschaft
Maja Lunde zeichnet im letzten Band ihres „Klimaquartetts" ein Endzeitszenario, in dem einem kaum volljährigen Jungen nicht nur die Verantwortung für die kleinen Brüder, sondern gleich für den Fortbestand der Menschheit aufgebürdet wird. Und er zerbricht daran. Selbst eine Expedition aus China, die sich auf die Suche nach der legendären Samenbank gemacht hat, muss erfolglos zurückreisen. Erzählt wird die Geschichte der fünf auf Spitzbergen allein zurückgebliebenen Kinder in Rückblicken, auch Personen aus Lundes ersten Romanen tauchen in neuen Rollen wieder auf. Gleichwohl muss man die ersten drei Bücher nicht kennen, um „Ein Traum von einem Baum" zu verstehen, denn die Botschaft ist eindeutig: Langsam aber stetig zerstören wir nicht nur unsere Welt, sondern auch die unserer Kinder. Der Roman liest sich bei aller thematischen Überfrachtung und trotz seines zeitweilig belehrenden Tons sehr spannend. Vor allem ist er aktuell und zeigt eindrücklich - wie Maja Lundes gesamtes Klimaquartett - was der Menschheit bevorstehen kann, wenn der Klimawandel nicht endlich ernst genommen und nachhaltig gehandelt wird, um ihn zu begrenzen.
(Christiane Schwalbe)
Maja Lunde, *1975 in Oslo, Norwegen, Drehbuch-, Kinder- und Jugendbuchautorin
Maja Lunde "Der Traum von einem Baum"
aus dem Norwegischen übersetzt von Ursel Allenstein
Roman, btb Verlag 2023, 560 Seiten, 24 Eruo
eBook 19,99 Euro, 2 Audio CDs 25,99 Euro
Weitere Buchtipps zu Maja Lunde
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